Wenn man „am Tag danach“ den unbändigen Drang verspürt, einfach wieder an den Ort zurückzukehren, der einen gerade noch verzaubert hat, als gäbe es tatsächlich eine Chance, die Zeit anzuhalten, zurückzuspulen – dann muss etwas einzigartiges Geschehen sein. Aber Montag ist leider kein Week-End! Und Week-End ist kein normales Wochenende. Bereits zwei mal haben Jan Lankisch und Jörg Waschat mit dem Programm des Week-End Festivals, das 2011 in einem leer stehenden Kölner Innenstadtkino debütierte, das Publikum verzaubert. Als sie im Herbst das erste Bild der neuen Location für das Week-End #3 ins Netz stellen, steht da mit entwaffnender Schlichtheit: „Our Dream“. Und kurz darauf, als klar ist, dass man in diesem Jahr trotz widriger Umstände doch zwei Tage lang Programm machen kann: „extended Version“.
Schwierig war es wieder, und dennoch liest sich das Line Up wie eine Wunschliste mit alten Helden: The Fall, Robert Forster von The Go Betweens, Grant Hart von Hüsker Dü, The Pastels und die Young Marble Giants – alle auf ihre ganz eigene Art antirockistische Vertreter des Post-Punk.
Das Programm:
FREITAG, 13.12.2013
THE FALL
GRANT HART
YUCK
SAMSTAG, 14.12.2013
YOUNG MARBLE GIANTS
ROBERT FORSTER w/ String Quartet conducted by Jherek Bischoff
THE PASTELS
MIREL WAGNER
Festival Website: http://www.weekendfest.de
Facebook: http://www.facebook.com/weekendfest
Ticketlink: http://www.tixforgigs.com/site/Pages/Shop/ShowEvent.aspx?ID=7921
Aber es sind nicht nur die großen Namen alter Helden, die Week-End so einzigartig machen. Es ist auch der Blick für’s Detail, der dieses Festival so besonders macht. Da werden Verbindungen geknüpft, die nachhaltig Spuren hinterlassen. So erschien beim Record Store Day 2013 ein Mitschnitt von Stephen Malkmus‘ Interpretation von Cans „Ege Bamyasi“-Album auf dem Week-End 2012. Das Cover kommt von David Shrigley, der schon das Artwork der zweiten Ausgabe des Festivals verantwortet hat. Kein Wunder, dass solch Gestaltungswillen eine internationale Aufmerksamkeit auf sich zieht, von der manch größeres Festival nur träumen kann. Aber hier werden solche Träume eben wahr, auch in diesem Jahr: Young Marble Giants spielen ihr komplettes Album „Colossal Youth“ von 1980, während Robert Forster eigens mit einem Streichorchester angereist kommt. Auch das geht auf eine Idee von Lankisch und Waschat zurück, die das Festival in bester DIY-Tradition tatsächlich als Zwei-Mann-Unternehmen stemmen und zwischen all den logistischen und finanziellen Herausforderungen nie die Inhalte aus den Augen verlieren.
Bei Week-End paaren sich der Blick für das Detail und der Gedanke an das große Ganze. Die Stadthalle Mülheim scheint da als Location zunächst nicht rein zu passen. Aber auch hier spielen sich wieder die Details und das große Ganze die Bälle zu: Denn an dem unscheinbaren und scheinbar unglamourösen Ort, wo heute Versammlungen und Messen stattfinden, haben in den 80ern und frühen 90ern Bands wie The Jesus and Mary Chain, Sonic Youth oder auch Bob Mould – kurz nach dem Split von Hüsker Dü – gespielt. Und wenn man genau hin guckt, dann scheint sogar das tolle Interieur aus den frühen 60er Jahren mit dem Minimalismus des Konzeptkünstlers Lawrence Weiner, der in diesem Jahr für das Plakat des Week-End Fests gewonnen werden konnte, in einen Dialog zu treten. Also: Achtet bei diesem Festival strotz der großen Namen immer auf die Details – sonst entgeht euch was.
The Fall
© The Fall
Einen Song von The Fall erkennt man immer. 1988 schrieb Michael Ruff, damals einer der größten Fall-Fans unter der Sonne, in der Spex: „Die einzige Band, die einen nie enttäuschen kann, weil sie sich nie entwickelt. Der Fehler liegt immer bei Dir, Freundchen“. 25 Jahre später blicken The Fall auf eine 37-jährige Bandgeschichte zurück. 30 Studioalben haben sie eingespielt, ebenso viele Livealben gibt es. Das Geheimnis von The Fall liegt tatsächlich in dem, was Mark E. Smith – einzige personelle Konstante in all den Jahren – schon 1978 auf der ersten Single die drei Rs nannte: Repetition, Repetition, Repetition. Das mit Can und Velvet Underground aufgesogene Programm sollte sich damals natürlich auf den einzelnen Song, nicht unbedingt die ganze Karriere beziehen. Und es stimmt auch nicht: Jenseits des stoischen Sprechgesangs von Smith hat sich immer viel bewegt. Pop wehte in den 80er Jahren zum Fenster herein, Elektronik dröhnte in den 90ern aus dem Keller. 2007 arbeitete Mark E. Smith uner dem Namen Von Südenfed sogar mit dem Elektronik-Duo Mouse on Mars. Elektronische Sounds sind seitdem nie ganz gewichen, aber die letzten Jahre stehen wieder klar im Zeichen eines ungestümen, repetitiven Rock, der die stets arrogant-nuschelig ausgespuckten Lyrics von Smith begleitet. Rückblickend muss man nach all den Jahren sagen, hat John Peel, der wirklich allergrößte Fall-Fan unter der Sonne, das Prinzip der Band aber besser verstanden als Michael Ruff: „The Fall – always different, always the same“.
http://www.thefall.org/
The Pastels
© Blair-Young
Stephen Pastel alias Stephen McRobbie betreibt einen Plattenladen in Glasgow. Aus gut informierten Kreisen hört man, dass er extra aus dem Hinterzimmer gerufen wird, wenn man im „Monorail“ eine Platte seiner Band kauft. Kundenbindung wird groß geschrieben – so viel Zeit muss sein! Eilig hatten es die Pastels sowieso nie. Unter dem Einfluss des Glasgower Postcard-Labels 1981 ebendort gegründet, erschien nach einigen Singles erst 1987 ihr Debütalbum „Up for a bit with the Pastels“. Mit der legendären C-86 Compilation des NME hatte ihr Sound, der bald als Twee-Pop umgehen sollte, einen fruchtbaren Boden gefunden. Schon zwei Jahre später kam der Nachfolger, doch dann war wieder Ruhe. Mitte der 90er Jahre erschienen wieder zwei Alben, auf denen der schrammelige Sound der frühen Jahre einem weicheren, volleren Klang gewichen war. 16 Jahre später klingt ihr aktuelles Album „Slow Summits“ so selbstverständlich und leichtfüßig, dass man gar nicht auf die Idee kommen könnte, die langen Zeiten zwischen den Veröffentlichungen als kreative Krise zu deuten. Das klingt eher nach beeindruckender Gelassenheit. Die Geschichte der Pastels erscheint wie ein Liebesfilm in Slowmotion, und so klingt auch das neue Album mit seinen langsamen, gefühlvollen Balladen. Gefühl war bei den Pastels immer wichtiger als Handwerk. Das gilt auch für ihr neues Album, auch wenn das Handwerk nach all den Jahren etwas aufgeholt hat.
http://www.thepastels.org
Young Marble Giants
© Philippe Lebruman
Die Ruhe der minimalistischen Popsongs der Young Marble Giants muss 1980, inmitten des Krachs von Punk und Post-Punk, etwas beängstigendes gehabt haben: Stuart Moxham spielt einen reduzierten, aber melodischen Bass. Sein Bruder Philip täuscht mit dem abgedämpften Anschlag auf der Gitarre Punk nur an. Im Hintergrund pluckert verhalten eine Rhythmusmaschine. Und darüber singt Alison Statton mit – je nach Wahrnehmung – rührendem oder beängstigendem Gleichmut. „Alison singt, als würde sie an der Bushaltestelle stehen“, sagte Stuart damals. Das war nicht als Kompliment an die Freundin seines Bruders gemeint, und kurz darauf war Alison nicht mehr in der Band und das Ende der Young Marble Giants nah. Ende der 80er Jahre hat sich die zickig-lärmende Band Kolossale Jugend nach dem ersten und einzigen Album von YMG benannt, Kurt Cobain äußerte wenig später seine große Bewunderung für die Band. Dass sich Musiker mit brachialem Sound zu dieser Band bekennen, kann einen verwundern. Die Wirkung ihrer Musik macht das indes nur noch geheimnisvoller. Die Young Marble Giants werden für das Weekend Fest ihr komplettes Album „Colossal Youth“ spielen. Für ihre Single „Final Day“ von 1981 wird vielleicht eine kleine Zugabe herhalten müssen.
http://julietippex.com/roster/young-marble-giants/
Robert Forster w/ String Quartett, conducted by Jherek Bischoff
© artists
The Go-Betweens haben Punk genutzt, um den einfachen Popsong wiederzuentdecken. Auf die australischen Punks müssen Robert Forster und Grant McLennan mit ihren Akustikgitarren Ende der 70er Jahre befremdlich gewirkt haben. In England fanden sie schließlich Gleichgesinnte, veröffentlichten sogar eine Single auf dem legendären Postcard-Label. In den 80er Jahren wurde ihr Sound opulenter. Streicher, wie Robert Forster sie auf seinem letzten Album „The Evangelist“ von 2009 einsetzt, sind da nur die logische Konsequenz. Für das Weekend Fest haben ihn die Veranstalter mit Jherek Bischoff zusammengebracht, der schon bei Xiu Xiu und den Paranthetical Girls für Opulenz gesorgt hat. Er wird den Songs mit seinen Arrangements für Streichquartett eine besondere Note hinzufügen. Die Go-Betweens haben sich erstmals 1990 getrennt. Nach der Reunion im Jahr 2000 war die Band sechs Jahre später mit dem Tod von Grant McLennan endgültig Geschichte. Für das Week-End darf man aber auch auf den ein oder anderen Go-Betweens-Klassiker mit Streicherarrangement hoffen. Gänsehaut!
http://www.robertforster.net/
Grant Hart
© artists
Neben den Go-Betweens noch so eine stilprägende Konsens-Band der 80er Jahre mit zwei Songwritern, die irgendwann nicht mehr miteinander konnten: Hüsker Dü haben in nur wenigen Jahren vom geprügelten Hardcore aus den Popsong erobert. Im Nachhinein kann man mutmaßen, dass der Schlagzeuger Grant Hart die treibende Kraft hinter dieser Entwicklung war. Meist waren die Stücke von Grant Hart nicht nur ruhiger als die von Bob Mould, sondern gingen einem emotional auch näher. Harts „Pink turns Blue“ von 1984 erhebt sich majestätisch über all den Noiserock des meisterlichen Doppelalbums „Zen Arcade“. Während sein ehemaliger Mitstreiter Bob Mould nach dem Split von Hüsker Dü regelmäßig Platten veröffentlichte, hielt sich Hart zurück. 2009 kam dann sein Album „Hot Wax“. Das aktuelle Album „The Argument“ ist eine Vertonung von John Miltons „Paradise Lost“. Und das klingt auf seinen 20 Stücken in 80 Minuten zwar oft dramatisch und erinnert zuweilen an Bowie, ist aber nie prätentiös. Grant Hart, der nach Hüsker Dü nie die Erfolge seines Kollegen Mould feiern konnte, muss keine Erwartungen erfüllen. Das Album kündet daher sowohl in den Arrangements als auch in der Instrumentierung von einer großen musikalischen Freiheit.
http://granthart.com
Mirel Wagner
© artists
Die 24-jährige Mirel Wagner erfüllt erst mal kein Klischee: In Äthopien geboren, in Finnland aufgewachsen, macht sie keine Black Music, dafür aber tiefschwarze Musik, die gleichermaßen an Townes van Zandt, den frühen Leonard Cohen oder den späten Johnny Cash erinnert. Ihre spartanischen Songs haben schon viele prominente Bewunderer gefunden. Nur mit Akustikgitarre und ihrem schlichten, aber ergreifenden Gesang schreitet sie die magische Linie zwischen Diesseits und Jenseits ab. Mit nur wenigen Mitteln entfaltet sie eine emotionale Wucht, die den Hörer atemlos zurück lässt. Dass liegt nicht nur an den abgründigen Texten, die zuweilen klar die Schmerzgrenze überschreiten, wie in dem Necrophilie-Song wie „No Death“. Es ist der existentialistische Grundton ihrer Musik, der dazu führt, dass die Hörer regelrecht an den Lippen dieser jungen Musikerin hängen.
http://mirelwagner.com
Yuck
© artists
Bei „Get Away“, dem Opener des selbstbetitelten Debütalbums von Yuck, wird erst mal das Wah Wah-Pedal kräftig malträtiert. Danach muss sich jeder selber entscheiden, ob er sich eher an Dinosaur Jr. oder an My Bloody Valentine erinnert fühlt. Der in diesem Herbst erschienene Nachfolger „Glow & Behold“ ist deutlich ruhiger ausgefallen, und sie haben sich mit Stücken wie „Rebirth“ mehr auf die Seite von My Bloody Valentine geschlagen. Mariko Doi, Jonny Rogoff, Ed Hayes und Max Bloom, ehemals Cajun Dance Party, sind aber auf dem besten Weg, ihre Eigenständigkeit zu behaupten. Die britische Presse haben sie schon längst hinter sich, nun gilt es, den eigenen Standpunkt beherzt zu vertreten. „Glow & Behold“ zeigt mit lang gezogenen Instrumentalparts mit feinem Fingerpicking und gefühlvollen Songs, dass sie auf dem besten Weg dorthin sind.
http://yuckband.com
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