In den vergangenen vier Jahren hat Fabian Dudek vor allem mit seinem Quartett (mit Felix Hauptmann, Fabian Arends, David Helm) viel Aufmerksamkeit bekommen. Schon ihr Debüt von 2019 und die nachfolgende Tournee stießen auf begeisterte Resonanz. So beschrieb die FAZ Dudek als „echten Überflieger des zeitgenössischen Jazz“. Das letztjährige, zweite Album der Band, Isolated Flowers, erhielt noch mehr Lob. Jazz Podium fand: „Diese packende Musik geht in immer neuen Wendungen ihre Themen an und hält sich nicht auf beim Beliebigen: fesselnd, kurzweilig und unverhofft kraftvoll. Großartig!“, das Magazin Jazzthetik hob „die Lust am Aufbruch […] und das Spiel mit komplexen Rhythmen“ sowie die „harsche Expressivität“ Dudeks hervor, und die Frankfurter Rundschau resümierte, dass Dudek „…mit seiner eigensinnigen Auffassung von Free Jazz eine bestechend gekonnte Balance zwischen […] energetisch zugespitzten Spielweisen und einer auch formal beherrschten Klangsprache [findet].“
Sein neues, am 06.10.2023 bei Traumton erscheinendes Werk Protecting A Picture That’s Fading wurde nun mit der vor rund 2 ½ Jahren gegründeten Formation La Campagne eingespielt. Fünf der sechs jungen Musiker*innen kennen sich allerdings schon länger, teils aus dem Studium an der Kölner Hochschule für Musik und Tanz. Die französische klassische Flötistin Pauline Turrillo stieß über den Trompeter Berthold Brauer dazu. „Über Pauline kamen wir zu einem Engagement bei einem Festival in Grasse, wo wir jeden Tag gespielt haben, nicht nur auf verschiedenen Bühnen, sondern auch auf Straßen“, erinnert sich Dudek an die erste, hochmotivierende Quintett-Phase der Band. Die von Corona ausgelöste, weitreichende Live-Blockade kanalisierte damals die Energien des Ensembles in andere Richtungen. „Ich wollte unbedingt etwas Neues kreieren“, rekapituliert Dudek seine damalige Dringlichkeit, „und hatte zunächst keine Vorstellung davon, wie es wäre, mit vier Jazzern und einer klassisch geschulten Musikerin zu arbeiten. Diese Verbindung reizte mich und ich fing an zu komponieren.“
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Tatsächlich erwies sich die ungewöhnliche Konstellation als besonders inspirierend, etwa „hinsichtlich der Präzision in der Tongebung und einem generell geschärften Feingefühl“, erklärt Dudek. „Anfangs stellte ich mir die Frage, welche Musik ich schreiben kann, die meine Handschrift trägt, meinen Empfindungen entspricht und gleichzeitig nicht über die Querflöte hinweg walzt.“ Alsbald stellten sich solche Bedenken als unbegründet heraus. Von Ende 2020 bis August 2022 traf sich das Ensemble immer wieder zu intensiven Probephasen an verschiedenen Orten, um Dudeks vorgegebene Rahmen mit einem gemeinsamen Bild zu füllen. „Dabei ergaben sich manche Aspekte, die zwar für mich eher atypisch sind, die ich aber trotzdem sehr schätze“, konstatiert Dudek. Seine Kompositionen wurden zur Grundlage für kollektive Entwicklungen, zu einer Art Katalysator für alle Beteiligten, eigene Gedanken einzubringen. „Bei den Aufnahmen ist von Take zu Take immer wieder Neues passiert“, sagt Dudek, „an diesen besonderen Punkt sind wir erst durch die vielen Proben gekommen. Wir spielen mit dem Material und lösen dabei Regeln auf, das sind persönliche und gemeinschaftliche Prozesse.“ In diesem Kontext hebt er auch den Moment hervor, als Pauline Turrillo ebenfalls zu improvisieren begann, was in weiten Teilen der Klassik unüblich ist: „Das hat die Band noch mal sehr weiter gebracht.“
Zu den eher ungewöhnlichen Facetten gehört sicherlich auch, dass der Bandleader erst nach rund einer Viertelstunde, in der zweiten Hälfte des zweiten Stücks mit seinem Alt-Saxophon hörbar wird. „Ich habe Spaß dabei, den anderen zuzuhören, wie sie meine Musik spielen“, sagt Dudek aufgeräumt, „mir geht’s darum, was der Musik gut tut, nicht um mein Ego als Instrumentalist.“
Nach dem eher impressionistischen „She Took Me Hear The Birds Sing“ mit Spots auf Flöte und Trompete, teils gestrichenem Bass und Klavier, führen Turrillos feinsinnige a cappella-Motive zu Beginn von „Oddballs“ die ruhige Stimmung weiter. Ein beinahe an fernöstliche Rituale erinnerndes Schlagzeug-Solo Parzhubers markiert die Wende; direkt im Anschluss fällt er in einen versetzten Groove, wechseln Turrillo, Kintopf und Brauer zum Jazz-Gestus. Anfangs unterlegt Hauptmann das Geschehen mit Orgel-artigen Synthesizersounds, später tritt er am Klavier in Kommunikation mit der Band, speziell mit Brauers zeitweise führender, klanglich variabler Trompete, deren Solo von zunehmender Schlagzeug-Vehemenz beflügelt wird. Nach gut acht Minuten setzt Dudeks markant-angerautes Saxophon ein, nun „spricht“ er mit Hauptmann. Um dann unvermittelt, in harschem Kontrast zur bis dahin überwiegenden Ästhetik, einen energiegeladenen Ausbruch bis in quietschende Höhen zu zelebrieren. Danach kreiert die Band eine Art Neustart des immer noch andauernden Stücks, mit neuem Spannungsbogen, mitreißendem Groove und zusätzlichen Klangfarben einer Melodika. Das folgende „Sunsets“ klingt alles andere als romantisch oder gar träumerisch; Parzhubers treibende, immer vehementer rührende und wirbelnde Einsätze, Kintopfs federnde Basslinien sowie die unmittelbar auf Latin Music verweisende Cowbell stacheln erst Dudek zu agilen und phantasievollen Exkursionen an, dann Brauer zu brillanten Trompeten-Modulationen. Nach einem nervösem Break kulminiert das Geschehen abschließend in einem kurzen Unisono-Rausch.
Es war anfangs nicht geplant, dass das Album diesen Umfang annehmen würde. Nun wirken die sieben Stücke von insgesamt 85 Minuten wie eine spannende Reise durch sehr unterschiedliche Klanglandschaften und Atmosphären. Auf abstrakte Weise spiegeln sie eine von Dudeks nicht-musikalischen Inspirationsquellen. „Ich laufe sehr viel, gerne auch durch Städte. Als ich in Berlin wohnte, bekam ich dabei den Eindruck, dass sich die Stadt auf relativ kurze Distanzen permanent verändert.“ Das Album lässt, Dudeks Wanderungen oder auch einem gelungenen Konzert ähnlich, durch verschiedene Welten gehen und zuweilen staunen. Pointierte Variationen von Transparenz und Verdichtung, überraschende Wendungen, eine enorme dynamische Bandbreite von subtilen Flüstertönen (beispielsweise vom gestrichenen Bass in „Tiger Face“) bis zu aufbrausend-explosiven Expressionen sowie gleichermaßen detailscharfe wie lebendige Interaktionen schaffen im besten Sinne abenteuerliche Erlebnisse.
Auf den ersten Blick scheinen einige Titel einen bestimmten Gedanken oder auch Gefühle des Komponisten nahezulegen, doch Dudek wehrt Fragen nach den Hintergründen der einzelnen Stücke am liebsten ab. „Ich mag die Last der Bedeutung nicht. Natürlich gibt es immer einen Punkt, der mich zum Schreiben bewegt. Das können gesellschaftliche Vorgänge sein, damals eben auch die Pandemie mit all ihren frustrierenden Begleiterscheinungen. Oder etwas, das ich sehe, wenn ich die Straße lang gehe. Aber in dem Moment, in dem wir’s gemeinsam proben, ist mein Gefühl schon anders als beim Komponieren. Und während Konzerten verändern sich die Emotionen jeden Abend wieder.“ Daher möchte Dudek die Deutung seiner Musik am liebsten seinem Publikum überlassen. Genauer gesagt, er möchte es ihm ermöglichen, die Musik unbefangen zu hören. „Das ist ja das Schöne an der Kunst, dass man Teil davon sein kann.“
Insgesamt ist Fabian Dudek fasziniert von den Möglichkeiten des Sextetts, wie ihn La Campagne beim Schreiben zum Verknüpfen von Ideen und Einflüssen motiviert hat und was die Gruppendynamik daraus entstehen ließ. „Als wir „Amsterdam Night Walk“ eingespielt hatten, waren alle beeindruckt von dem gemeinsamen ‚Trip‘, denn so wie im Studio hatten wir das Stück vorher noch nie gespielt.“ Vom Mikrokosmos einer Band ausgehend weitet Dudek den Blickwinkel. Essenziell sei, dass man zusammen etwas erlebt, wenn man sich darauf einlässt. „Vielleicht kommt man dabei auf andere Gedanken – oder man kann für eine Weile abschalten, wie beim Laufen.“
Das Hören von Protecting A Picture That’s Fading mag nicht unbedingt den Körper ertüchtigen, den Geist bringt die ebenso kluge wie vitale Musik zweifellos in Schwung. Dabei überspringt das Ensemble mühelos althergebrachte Genrezäune; seine Generation ist ohnehin mit unterschiedlichsten Stilistiken sozialisiert und weiß, Funken daraus zu schlagen.
Besetzung:
Fabian Dudek: Altsaxophon, Kompositionen
Pauline Turrillo: Querflöte, Piccoloflöte
Berthold Brauer: Trompete, Piccolo-Trompete
Felix Hauptmann: Klavier, Synth
Roger Kintopf: Kontrabass
Alexander Parzhuber: Schlagzeug
Ein erstes Konzert ist bestätigt:
16.02.2024 Darmstadt / Stadtkirche
Hintergrund:
Fabian Dudek wurde 1995 geboren, wuchs im Rhein-Main-Gebiet auf, und lebt aktuell in Köln. Er wurde von der Plattensammlung seines Vaters inspiriert und wurde noch als Gymnasiast Jungstudent an der Mainzer Hochschule. 2016 erhielt Dudek mit seiner Band The Where Me?! das hochdotierte Jazzstipendium der Stadt Frankfurt, 2017 den Solistenpreis des Jungen Jazzpreis Osnabrück. Während seines Studiums in Köln formierte er 2018 sein eigenes Quartett, spielte außerdem mit Robert Landfermann und Dominik Mahnig als Trio und (bis heute) im Quartett von Simon Below. Mit letzterem gewann er 2018 den Grand Prix des Festivals Tremplin Jazz d’Avignon. Nach seinem mit Bestnote bestandenen Bachelorstudium arbeitete der Stipendiat der Studienstiftung des dt. Volkes an seinem Master bei Frank Gratkowski, den er 2022 abschloss. Dudek trat u.a. beim Deutschen Jazzfestival in Frankfurt, Moers Festival, Jazzfest Bonn, Klaeng Festival, c/o Pop, Klaipeda Jazz Festival, in der Kölner Philharmonie und vielen namhaften Clubs auf. Konzertreisen führten ihn in die Schweiz, die Niederlande, Litauen, Ecuador und Indien. Dudek ist seit 2022 Teil des NICA Artist Development und seit 2023 Stipendiat des Horst und Gretl Will-Stipendiums für Jazz und Improvisierte Musik.
Weitere Informationen:
https://fabiandudek.de/
Fabian Dudek / La Campagne
Das Album: Protecting A Picture That’s Fading
VÖ: 06.10.2023
Label: Traumton Records
Formate: 2CD, digital
Katalognummer: 4716
UPC: 705304471623
Label Code: 05597
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